Elternbrief von Christof Alipaß, September 2020
Hallo zusammen!
Gestern saß ich mit meinen Kindern zusammen. Wir waren essen in einem schönen alternativen Café im Wohnort meiner Tochter. Meine Tochter, Anfang 20, mein Sohn, 17 Jahre und ich. Ich wurde gebeten, den Elternbrief für unseren Newsletter zu schreiben und geriet dann, nach meiner Zusage, ins Grübeln. Was könnte ich denn schreiben? Ich schreibe, was mich als Vater aktuell bewegt. Es ist ja schließlich ein Elternbrief.
Eigentlich finde ich die Stadt, in der meine Tochter lebt, nicht besonders schön. Aber es ist der Kosmos meiner Tochter und dadurch komme ich dieser Stadt etwas näher. Meine Tochter wohnt nun seit über zwei Jahren dort. Zunächst allein, dann in einer WG und nun lebt sie mit ihrem Freund im angesagtesten alternativen Viertel der Stadt. Das erwähne ich mit einem gewissen Stolz, weil ich weiß, dass ihr „das Alternative“ wichtig ist und sie „Alternativ“ im wahrsten Sinne des Wortes versteht. Und ich finde es klasse, dass sie eine eigene Haltung und Überzeugung hat. Das kleine Nest, in dem wir leben, war ihr zu provinziell, zu eng. Sie hat sich auf den Weg, „ihren Weg“, gemacht.
Und mein Sohn … herrjeh! War er doch eben noch „der Kleine“, wird er nun – in ein paar Wochen – volljährig. Unfassbar! Die ersten Runden auf dem Verkehrsübungsplatz haben wir gedreht und die ersten Fahrstunden werden jetzt folgen. Für die nächsten größeren Ferien haben wir bereits eine Tour nach Spanien angedacht, bei der er auch mal ans Steuer kann. Wenn Corona uns keinen Strich durch die Rechnung macht.
In der achten und neunten Klasse litt er an einer gewissen Schulmüdigkeit und wir begannen uns damit abzufinden, dass er das Gymnasium nach der zehnten Klasse verlässt. Dann folgte seine Kehrtwende und nun möchte er doch sein Abi erlangen, um dann „irgendetwas mit Musik“ zu machen. Mal sehen…
Wenn ich kurz darüber nachdenke, würde ich sagen: „Das ging aber alles schnell, die Jahre vergingen wie im Flug!“ Bei längerer Denkpause sehe ich allerdings vieles in meiner Erinnerung und tauche gerne in diese ein. Dann erinnere ich mich an Situationen im Urlaub und im Alltag, die durchaus auch gemein sein konnten. Wir hatten so viele Erlebnisse rund um das „Groß werden“. Oft verbunden mit Freude und Spaß, mal mit Sorgen, Frust und Ärger oder Diskussionen, die mit zunehmenden Alter der Kinder auch politisch wurden. Gehört alles dazu.
In der Rückschau lassen diese Erinnerungen oft ein Schmunzeln, ein Lächeln, manchmal ein lautes Lachen und ab und an die eine oder andere Träne zu. Eine Mischung aus Erleichterung, Freude und der Gewissheit, dass bisher doch alles „ziemlich gut über die Bühne ging“, in Verbindung mit dem Bewusstsein, dass nun tatsächlich „das Alter“ beginnt und dass jetzt das Großeltern werden im Bereich des Wahrscheinlichen liegt.
Das „Loslassen“ der Kinder gibt uns Eltern wieder eine gute Portion Zeit zu zweit, Zeit für Freunde und beispielsweise Zeit für alte und neue Hobbies. Dafür sollte „das Loslassen“ allerdings auch einigermaßen gelingen. Es ist ja keine Überraschung, dass der Zeitpunkt des „Loslassens“ irgendwann da ist. Aber von der Geburt der Kinder bis dahin fließt ja eine Menge Wasser den Rhein hinunter. Wichtig erscheint mir, durch meine persönliche Rückschau, sich zu verdeutlichen, dass es ein Prozess ist, in dem sich die Eltern, die Mutter, der Vater und die Kinder unermüdlich befinden.
Innerlich nehme ich mich selbst oft jünger wahr, auch wenn der Spiegel mir mein tatsächlich zunehmendes Alter immer wieder entgegenwirft. Ich kann mich bemühen, möglichst nur äußerlich zu altern und innerlich den Jungen, die Jugend und den jungen Mann zu bewahren. Das ist sicherlich auch lobenswert und sinnvoll, damit nicht der Draht, das Verständnis und der gegenseitige Respekt zwischen den Generationen verloren geht. Allerdings sollte die Schwelle zur Peinlichkeit nicht überschritten werden. Vor mir lichtete sich nach und nach der Nebel. Es war wohl notwendig, dass ich ab und an über diese Schwelle stolperte. Der Sprung zurück ist mir erfreulicherweise immer wieder gelungen und nun ist mir klar:
Es ist so weit! Die Türe steht den Kindern offen und ich bleibe an der Schwelle stehen. Ich kann nicht mehr wirklich mitreden oder den Ton angeben. Ich komme nicht mehr mit. Neue Technik, neue Sprache, neue Musik, neue Mode etc. Sollte ich jetzt etwa den Anschluss suchen, um dann hoffnungslos hinterher zu hinken? Ich frage lieber die Kinder und freue mich, dass sie sich über mein Staunen über ihre Antwort wundern, dass sie sich amüsieren und sich freuen, dem Vater etwas erklären zu können. Das hat ja nichts mit „sich die Blöße geben“ zu tun. Vielmehr geht es doch unbewusst um das Profitieren der Generationen voneinander. Und dann beginnt „das Loslassen“ Freude zu bereiten. Die Kinder können von ihren Erfahrungen berichten, ihr Wissen anbringen und ich kann mal den Kopf schütteln, zustimmend nicken und meine Geschichten und meinen Erfahrungsschatz bereichernd einbringen (Kinder: „Oh nee Papa, nicht schon wieder“, Papa: „Ach, hatte ich das bereits erzählt?“) 😊 Egal.
Meine Ratschläge sollen Raum geben. Für eigene Erfahrungen und Fehler. Ich möchte Vertrauen schenken, aufmerksam und achtsam sein. Ich möchte meine Befürchtungen und Ängste möglichst für mich behalten und/oder mit meiner Frau teilen. Ich möchte meine Kinder, wenn sie es wünschen, in bestimmten Situationen begleiten. Ich möchte und werde mich nicht aufdrängen. Ich werde akzeptieren, dass ich nicht mehr so viel zu sagen habe. Ich möchte mich entschuldigen können, wenn ich mich mal zu weit aus dem Fenster gelehnt habe. Ich lasse sie zu eigenen Persönlichkeiten werden. Ich möchte da sein als Vater. Puuh, da habe ich mir ganz schön viel vorgenommen. Ich denke das gehört dazu. Niemand ist perfekt.
Liebe Grüße aus dem Rheinland,
Christof Alipaß